Das allgegenwärtige Streben nach Perfektion
Jetzt mal Hand aufs Herz: Wir alle lügen. Sei es bei einer beiläufigen Äußerung, um einer Situation aus dem Weg zu gehen oder um negative Auswirkungen zu vermeiden. Mag man der Meinung diverser Kommunikationsforscher und Wissenschaftler trauen, lügen wir im Durchschnitt sogar 200x pro Tag. Es liegt nahe anzunehmen, dass diese Behauptung an sich sogar schon eine Lüge ist.
Tun wir dem Begriff Lüge eventuell auch nur Unrecht und schieben ihm grundlos den schwarzen Peter zu? Lügen ist nicht so schlimm, wie wir annehmen und wird in der Rhetorik oft als nützliches Hilfsmittel eingesetzt.
Wir haben bereits Teil I zu diesem Thema veröffentlicht.
Lesen Sie hier nun den zweiten Teil unseres Artikels:
Steigender und permanenter Optimierungsdruck
Um uns herum wird alles stetig schneller, besser und effektiver. Technische Entwicklungen schreiten mit einer – im Vergleich zu früher – bahnbrechenden Geschwindigkeit immer weiter voran. Kann der Otto Normalverbraucher da überhaupt noch mithalten? Bleibt uns vielleicht im Angesicht dieses dauerhaften Strebens nach Perfektion gar keine andere Wahl, als die Wahrheit ebenfalls zu ‘verbessern’?
Zunehmend steigender Konkurrenzdruck kann dazu führen, dass wir versuchen, uns selbst immer weiter zu optimieren und im besten Licht darstellen zu wollen. Fehler wollen wir nicht eingestehen. Bei Betrachtung des Arbeitsmarktes wird klar: Konkurrenz gibt es hier genug.
Wurden wir zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, geht die Ausschmückung der Wahrheit natürlich weiter. Schließlich wollen wir die Stelle jetzt erst recht haben, scheint uns doch nur noch ein kleines Gespräch von der Unterzeichnung des Vertrages zu trennen.
Nicht nur, dass wir im Bewerbungsgespräch generell sehr positiv über uns und alles sprechen, wir versuchen auch zu vermeiden, über unsere Fehler und Schwächen zu reden. Selbst dann, wenn wir explizit dazu aufgefordert werden. Es gilt der weitverbreitete Rat, sich die eigenen Schwächen nicht als solche einzugestehen, sondern diese rhetorisch so zu verpacken, dass sie letztendlich wie Stärken wirken:
“Ich bin zu perfektionistisch” oder “Ich arbeite zu viel”. Bewerber sowie auch Personaler können hierbei oft nur noch die Augen verdrehen. Wissen wir doch ohnehin alle, ‘wie man diese Frage zu beantworten hat’.
Ganz wir selbst – nur besser:
Der Mensch 2.0
Das Phänomen des Optimierungsdrangs können wir ebenfalls in sozialen Netzwerken beobachten. Hier bekommen wir tagtäglich zu sehen, wie Personen auf Instagram, Facebook, Snapchat oder ihrem Blog Momente ihres ‘alltäglichen’ Lebens mit uns teilen. Ergebnis dieser Posts ist oft ein verzerrtes Bild der Realität.
Dadurch, dass die dort kommunizierten Inhalte größtenteils positiv sind, entsteht schnell der Eindruck, dass das eigene Leben nicht dem Idealmaß entspricht, wie wir es von anderen vorgelebt bekommen. Was jedoch nicht zu sehen ist, ist ein Blick hinter die Fassade; die negativen – nicht gephotoshopten Augenblicke – die jeder von uns hat.
Laut Psychologe Jeff Hancock wird auch bei Online-Partnervermittlungen versucht, sich möglichst attraktiv darzustellen. Männer würden sich gerne etwas größer und erfolgreicher und Frauen ein bisschen leichter und jünger machen. Allerdings hält sich hier das Ausmaß der Lügen in Grenzen, da spätestens beim ersten Date Lügen, die das äußere Erscheinungsbild betreffen, auffliegen würden.
Aber warum das Ganze? Geht es gerade hier nicht eigentlich um die Wahrheit: Sind Menschen, die sich auf Datingportalen anmelden, nicht auf der Suche nach jemandem, der sie so annimmt, wie sie sind? Scheinbar gehen wir automatisch davon aus, dass wir so, wie wir sind, nicht ‘ausreichen’ bzw., dass es bei uns selbst noch ‘Raum für Verbesserungen’ gibt.
Wann lügen wir am meisten?
Viele von uns sind der Meinung, sie könnten erkennen, wenn eine Lüge erzählt wird. Wir sind davon überzeugt, an bestimmten Signalen von Gestik und Mimik festmachen zu können, dass eine Aussage nicht der Wahrheit entspricht. Wir vertrauen hierbei ganz unserer Intuition. Überraschenderweise können wir laut einer Studie allerdings nur in 54 Prozent aller Fälle einen Lügner wirklich entlarven. Völlige Willkür also.
Gründe um zu lügen finden wir genug. Seien es Ängste, weil wir weiterhin dazugehören wollen, die Angst vor Ablehnung, Schuldgefühle, oder um ein Fehlverhalten nicht einzugestehen. Beispielsweise indem wir den Erwartungen Anderer bezüglich unseres Verhaltens gerecht werden wollen. Lügen erleichtert uns. Wir wollen kein schlechtes Gewissen unseren Mitmenschen gegenüber haben oder sie enttäuschen.
Gelegenheit macht Lügner, sagt der Psychologe Jeff Hancock. Die drei Haupteinflussfaktoren des Lügens sind: Gleichzeitigkeit, Flüchtigkeit und räumliche Distanz.
1. Gleichzeitigkeit:
- Gleichzeitig: Normales Gespräch, Telefon und Onlinechat
- Zeitversetzt: Brief und E-Mail
2. Flüchtigkeit:
- Flüchtig: Sind unsere Worte flüchtig wie bei einem direktem Gespräch, am Telefon oder bei Skype
- Beständig: Kann man sie speichern, kopieren und weiterleiten?
3. Räumliche Distanz:
Wie groß ist die räumliche Distanz zwischen uns und unseren Gesprächspartnern?
- Stehen wir uns direkt von Angesicht zu Angesicht gegenüber?
- Oder ist unser Gesprächspartner auf der anderen Seite der Welt?
Die Annahme von Wissenschaftlern ist, dass eine Kombination aus Gleichzeitigkeit, Flüchtigkeit und großer räumlicher Distanz zu den meisten Lügen führt.
Lügen – Ein kunterbunter Regenbogen an Möglichkeiten
Je nach Kommunikationsmedium lügen wir unterschiedlich. Wir unterscheiden zwischen 2 Arten von Lügen: Den sogenannten ,,Butler-Lügen” und Erklärungslügen.
Butler-Lügen sind kleine, harmlose Alltagslügen. Sie entstehen, weil wir nett sein und niemandem auf den Schlips treten wollen. Diese Art der Lügen tritt vor allem auf, wenn wir schnell antworten müssen und eine kurze Reaktionszeit vorhanden ist. Wir antworten instinktiv. Hier zeigt sich auch, dass Lügen vor allem an Emotionen gekoppelt sind. Es wird eher intuitiv statt bewusst gelogen. Wir wollen unser Gegenüber nicht verletzten. Insbesondere bei WhatsApp oder per Telefon kommen solche Butler-Lügen häufig vor. Wir schreiben unserer Verabredung: ,,Bin schon unterwegs”, obwohl wir noch nicht einmal unsere Schuhe angezogen haben.
Auf der anderen Seite gibt es sog. ,,Erklärungslügen”. In diesen Lügen erklären wir uns unserem Gegenüber für ein Fehlverhalten. Beispielsweise, warum wir ein Produkt nicht zum vereinbarten Zeitpunkt liefern können. Hier haben wir meist Zeit, uns über die Formulierung der Antwort bzw. Lüge Gedanken zu machen. Im Gegensatz zu Butler-Lügen sind Erklärungslügen also zeitversetzt. Wir antworten nicht ,,reflexartig”, sondern haben mehr Zeit uns mit unserer Antwort zu beschäftigen. Diese Art der Lügen finden wir bei E-Mails oder Briefen.
Es gibt nicht nur verschiedene Arten von Lügen, sondern auch verschiedene Arten von Lügnern. Der Großteil von uns lügt ab und zu, das Ausmaß unserer Lügen hält sich jedoch in Grenzen. Auf der anderen Seite gibt es auch notorische Lügner, die öfter lügen und mit ihren Lügen andere beispielsweise manipulieren wollen.
Die extremste Form des Lügens findet bei pathologischen Lügnern statt. Ca. 100 – 1000 Menschen in Deutschland leiden an dieser Krankheit, die auch Pseudologia phantastica genannt wird. Diese Menschen leiden an dem krankhaften Zwang, ständig zu lügen. Sie erfinden Schicksalsschläge, Krankheiten, Adels- oder Doktortitel. Oft liegt hier ein Kindheitstrauma vor.
Wie entlarve ich einen Lügner?
Es gibt Strategien, um zu erkennen, wenn jemand lügt. Beispielsweise, wenn sich die Phonetik unseres Gegenüber verändert. Plötzlich wird sie höher und eine Aussage nimmt die Tonlage einer Frage an. Veränderungen der Körpersprache können ebenfalls Signale dafür sein, dass jemand lügt oder uns zumindest Informationen vorenthält.
Sich an das Gesicht oder kurz an die Nase zu fassen beispielsweise. Männer fassen sich beim Lügen übrigens öfter an die Nase als Frauen. Grund dafür ist, dass sich die Härchen in der Nase, wenn wir gestresst sind aufstellen. Was folglich dazu führt, das wir unterbewusst ein Jucken in der Nase verspüren. Da Männer tendenziell mehr Haare in der Nase haben als Frauen ist dieser Effekt bei ihnen stärker ausgeprägt. Ein Vergleich mit Pinocchios langer Nase ist also gar nicht so abwegig.
Ein weiteres Indiz, dass wir belogen werden kann häufiges Blinzeln sein. Generell können uns Pupillen sehr viel über Lügner verraten. Das müssen die Teilnehmer bei Michael Ehlers Premium Seminar Rhetorik I auch immer wieder erschreckt feststellen.
Wir verwenden jedoch tagtäglich unzählig viele Gesten und Mimiken. Dadurch ist es extrem schwer, alleine anhand von Mikro-Expressionen einen Lügner festzumachen. Wir können unseren Blick für Lügen allerdings schulen. Zeichen zu erkennen und richtig zu deuten kann erlernt werden. Das Premium Seminar Rhetorik I “Professioneller Auftritt und sicher reden” von Michael Ehlers bietet hierfür einen perfekten Einstieg.
Gezieltes Nachfragen kann auch dabei helfen eine Lüge zu identifizieren. Aber Vorsicht! Es dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Lügen sind weitaus komplexer als wir vermuten. Wie sich unser Gegenüber verhält kann von einer Vielzahl anderen Dinge beeinflusst werden. Das erklärt auch weshalb wir nur 54 Prozent aller Lügen entlarven.
Lügen zu erkennen kann bei Mitarbeitergesprächen sehr hilfreich sein und neue Chancen bei der Personalentwicklung eröffnen. Wir bekommen die Möglichkeit herauszufinden, was unsere Mitarbeiter denken. Sind Sie wirklich zufrieden mit ihrem Beruf oder trauen sie sich vielleicht nur nicht, uns negatives Feedback zu geben?
Nichtsdestotrotz müssen wir uns aber fragen, ob wir die Fähigkeit Lügen zu erkennen überhaupt erlernen wollen. Denn sie kann unsere Sicht auf uns und die Gesellschaft im Allgemeinen verändern. Wir müssen uns fragen, wozu wir diese Fähigkeit gebrauchen wollen.
Wollen wir unseren Mitmenschen damit helfen oder uns selbst Vorteile verschaffen? Wollen wir erkennen können, wenn jemand versucht uns zu manipulieren? Möglichkeiten diese Fähigkeit zu nutzen gibt es viele. Wir sollten uns aber im Klaren darüber sein, welche Folgen sie für uns, andere und das Miteinander mit ihnen haben kann.
Wie und ob wir lügen ist situationsbedingt. Aber greifen wir dank der erweiterten Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation nun noch öfter zu Lügen?
Hat das Internet uns zu einer Pinocchio Gesellschaft verkommen lassen? Dieser Frage werden wir morgen im Zuge unserer “Themenwoche Lügen” nachgehen.
Mehr über das Premium Seminar Rhetorik I
Mehr Informationen über den Aufbau der Michael Ehlers Rhetorikseminare können Sie auf Der-Rhetoriktrainer.de erfahren.
Hier finden Sie den ersten Teil unseres Artikels:
Teil I: https://www.der-rhetoriktrainer.de/luegen-das-schmiermittel-unserer-gesellschaft-teil-i/