Was assoziieren Sie mit Geheimcodes? Geheime Gesellschaften in der Vergangenheit, verschlüsselte Nachrichten von Geheimagenten oder Dan Browns Weltbestseller „Sakrileg“? Nicht nur in der Vergangenheit oder in fiktiven Werken finden sich Geheimsprachen, sondern auch in unserem regelmäßigen Alltag. Geheimcodes sind Teil unserer Kommunikation und werden in der Wissenschaft untersucht: Wie funktioniert Sprache, was sagen uns bestimmte Wörter und Symbole? Welchen Zweck verfolgen sie?
Wir schreiben das Jahr 102.017 n. Chr. Tatsächlich gibt es noch Menschen auf der Erde. Erst kürzlich hatten sie damit begonnen, die Geschichte und Kultur ihrer Vorfahren wieder zu erforschen. Bei Ausgrabungen stoßen diese Menschen auf ein ehemaliges Salzbergwerk, das mehrere zehntausend Jahre alt sein soll. In diesem befinden sich zahlreiche gelbe Fässer mit einem schwarzen Symbol, das aus drei gleichseitigen Dreiecken besteht, die um einen Kreis positioniert sind. Sie meinen auf einen wertvollen Schatz gestoßen zu sein und öffnen die Fässer. Das Öffnen des Atommülls ist ein fataler Fehler, mit dessen Vermeidung sich heute eine eigene Wissenschaft beschäftigt. Dieser Fachbereich nennt sich Semiotik, die Lehre von den Zeichen.
Was ist Semiotik?
Als Väter der Semiotik gelten der Schweizer Professor für Linguistik, Ferdinand de Saussure und der amerikanische Philosoph Charles S. Peirce. Am einfachsten gesagt ist Semiotik die Wissenschaft oder Lehre der Zeichen, wobei vorwiegend die Funktionsweise von Zeichen untersucht wird sowie Zeichensysteme. Dabei bildet die Semiotik eine Schnittstelle von vielen verschiedenen Disziplinen, wie etwa der Sprachwissenschaft. Dort wird beispielsweise die menschliche Sprache als Zeichensystem für die Kommunikation eingesetzt und erforscht.
Zeichen selbst begegnen uns im Alltag fast überall: Ob Wegweiser, Verkehrszeichen oder auch Verbotsschilder – ganz egal! Auch Werbetafeln oder Logos von Unternehmen fallen darunter.
Aber nicht nur diese offensichtlich aufgezählten Zeichen gehören zur Semiotik, sondern fällt darunter alles, was eine Bedeutung trägt oder auf andere Dinge verweist. Das heißt, dass Sprachen selbst darunterfallen, aber auch Statussymbole wie der Porsche in der Garage. Letztlich kam die Semiotik zu dem Schluss, dass alles Zeichen sein kann oder auch ist.
Dimensionen der Zeichen
Verschiedene Zeichenarten:
- Icon
- ist seinem Objekt ähnlich
- Zeichen mit Abbildungsähnlichkeit
- z. B. Abbildung eines Apfels erinnert an Obst
- Piktogramme, Landkarten, Schemata, Diagramme, Fotografien etc.
- Symbol
- Beziehung zu seinem Objekt ist arbiträr
- enthält keine Ähnlichkeit mit Objekt
- z. B. Kleeblatt = Glück
- Index
- ist physisch mit seinem Objekt verbunden
- hat Hinweischarakter, macht aufmerksam
- z. B. Verkehrsschild
- Schrift
- dient lediglich als Träger einer bestimmten Information
- kann auch dem Symbol zugeordnet werden, da einzelne Buchstaben und Kombinationen (Worte) erlernt werden müssen
Geheimsprache und -codes
Wichtig für die Semiotik ist vor allem die Kommunikation, die oftmals versteckt abläuft. Deswegen zählen Geheimsprachen und Geheimcodes dazu. Sie werden dort sehr genau unter die Lupe genommen. Der bekannte italienische Schriftsteller Umberto Eco war ein führender Forscher in diesem Bereich und untersuchte den täglichen Sprachgebrauch, die Entwicklung von Codes, das Kommunikationsverhalten sowie die Verwendung von Zeichen. Meisterhaft umgesetzt hat Eco das in seinem Roman „Der Name der Rose“, der voller versteckter Zeichen und Codes ist.
Aber nicht nur in der Literatur begegnen wir Geheimcodes, sondern auch in unserem Alltag. Wir kennen sie alle: Die versteckten Codes in Arbeitszeugnissen. Darüber kommunizieren Personaler über Arbeitnehmer, ohne offensichtliche Kritik einzubauen – die ist nämlich verboten. Viele versteckte Hinweise sind aber mittlerweile enttarnt. Beispielsweise bedeutet der Satz „Sie zeigte ein gutes Einfühlungsvermögen in die Belange der Belegschaft“, dass die Person scheinbar mehr am Flirten, als am Arbeiten ist. Deswegen sollten wir Arbeitszeugnisse sehr sorgfältig durchlesen, ehe wir sie im Zuge einer Bewerbung für einen neuen Job abschicken. Das kann gehörig in die Hose gehen.
Nicht nur Personaler haben versteckte Codes, sondern auch andere Berufsgruppen. Wir wissen das spätestens nach dem großen Shitstorm, den die Kölner Polizei für ihren Tweet über sogenannte „Nafris“, also „Nordafrikanische Intensivtäter“, erfuhr. Dabei ist es unter Polizisten völlig normal, einfache Abkürzungen als “Codes” zu verwenden, um einerseits den Funkverkehr zu beschleunigen und andererseits für Außenstehende kryptisch zu wirken. So ist die süß wirkende „Fari“ die Fahrtrichtung oder der „TV“ ein Tatverdächtiger. Unerwähnt soll an dieser Stelle auch ein weiterer Zweck dieser „Geheimsprache“ nicht bleiben: In Gefahrensituationen können Polizeibeamte so natürlich auch miteinander kommunizieren.
Die geheimen Codes der Flugbegleiter
Auch Flugbegleiter kommunizieren mit Abkürzungen. Beispielsweise ist ein „UM“, also „unaccompanied minors“, ein Kind, welches ohne Begleitung reist und dadurch eine besondere Herausforderung für das Personal darstellen kann. Diese „Geheimsprache“ variiert auch von Fluggesellschaft zu Fluggesellschaft. Bei Easyjet findet die Kommunikation beispielsweise vor allem durch Handzeichen statt. Legt ein Flugbegleiter beispielsweise die Hände wie Hasenohren an den Kopf, bedeutet das, dass ein Junggesellenabschied an Board ist und soll keinen Hasen symbolisieren, sondern einen Hirsch. Wir konnten es selbst kaum glauben, aber im veröffentlichten Video von Easyjet wird gezeigt, wie die Flugbegleiter mit vollem Körpereinsatz gestikulieren. Es wirkt wie ein lustiger Scherz, ist aber augenscheinlich üblich bei der Fluggesellschaft. Haben Sie auch eine Geheimsprache mit ihren Kollegen entwickelt, beispielsweise einen Warnhinweis, wenn der Chef hinter jemandem steht?
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Geheimsprachen sind meist einfache Sprachvariationen, um sich in einem bestimmten Umfeld schnell oder so zu unterhalten, dass es andere nicht verstehen. Ein richtiges Eigenleben hat beispielsweise die Chatsprache entwickelt. Dort sind Abkürzungen wie „lol“, also „Laughing out loud“ oder „lg“ (Liebe Grüße), mittlerweile Gang und Gebe. Eine gesteigerte Version davon findet sich in den verschiedensten Gamingchats bei Onlinespielen. Dort entwickelten die Spieler im Verlauf der Zeit eine fast einzigartige Art der Kommunikation, die von Spiel zu Spiel leicht variiert und die für Laien oft unerklärlich ist. Diese Entwicklung liegt daran, dass für bestimmte Spielzüge neue Begrifflichkeiten eingeführt werden mussten, die schnell kommunizierbar sind. Beispielsweise ist ein „feeder“ ein Spieler, der sehr häufig von den Gegnern getötet wird und sie dadurch mit Erfahrungspunkten oder Items „füttert“.
Von Strahlenkatzen und Geheimen Sekten
Die Gefahr von Atommüll in der Zukunft haben wir bereits in unserer Eingangs-Utopie erklärt. In der Atomsemiotik beschäftigen sich Forscher mit der Frage, wie Atommüllendlager gekennzeichnet werden müssen, sodass diese Warnhinweise auch in 100.000 Jahren noch zu verstehen und vor allem lesbar sind. Sie arbeiten intensiv an der Entwicklung von Zeichen, die für Menschen – oder menschenähnlichen Geschöpfe – in ferner Zukunft noch verständlich sind. Das ist keineswegs so einfach, wie es zunächst klingt. Denken wir nur mal ein paar Jahrtausende zurück: Kryptische Höhlenzeichnungen oder keltische Ausgrabungsstätten geben uns bis heute zahlreiche Rätsel auf. Wir können lediglich Vermutungen anstellen, was dortige Symbole bedeuten. So könnte das herkömmliche Warnschild für Radioaktivität in der Zukunft vielleicht als Windrad missverstanden werden. Ein weiteres Problem, das die Forscher sehen, ist die Haltbarkeit von solchen Schildern oder Tafeln. Welches Speichermedium und Material kann die Jahrtausende überdauern? Das kann niemand sagen, weil wir nicht wissen, welchen äußeren Bedingungen die Warnhinweise ausgesetzt sein werden.
Aufgrund dieser schwierigen Herausforderungen gibt es mehrere Lösungsansätze, die sehr abstrus und sogar komisch wirken. Beispielsweise gibt es die Idee, eine Art Sekte zu gründen, deren Mitglieder das Wissen über die Lagerstätten an neue Generationen weitergeben. Ein anderer Ansatz ist die Entwicklung von sogenannten Strahlenkatzen. Das sind genmanipulierte Katzen, deren Fell durch radioaktive Strahlung anfängt zu leuchten und so spätere Generationen warnt. Ob für dieses Problem eine Lösung gefunden wird, ist nach wie vor unklar.
Die Lehre der Semiotik ist also nicht nur für Fans von Geheimbünden wie der Illuminati oder dauerzockender Internetnerds wichtig, sondern extrem relevant für unsere Zukunft. Diese Kommunikation über die Jahrtausende hinweg wird entscheidend für das Leben unserer Nachfahren sein. Zielführende Kommunikation und professionelle Rhetorik sind mehr als stilisierte Kunstformen. Sie sind entscheidend für das sichere Fortbestehen unserer gesamten Kultur!